Freitag, 9. Mai 2008

Milan Hlavsa - Silenstvi (Madness)

Das letzte Lebenszeichen des 2001 an Krebs gestorbenen Gründers und Chefdenkers der tschechischen The Plastic People Of The Universe. Diese Band ist in Deutschland bestenfalls ein Geheimtipp, in ihrer Heimat sind die nach einem Song von Frank Zappa benannten Undergroundkünstler jedoch so etwas wie Volkshelden, schließlich löste das Verbot dieser (im übrigen ursprünglich eher unpolitischen) Gruppe im Jahr 1970 und die Inhaftierung ihrer Mitglieder 1976 die Veröffentlichung der Charta 77 aus.

Musikalisch gesehen orientierte sich der Sound der Plastic People damals an den Doors und The Velvet Underground, wobei den Songs stets eine ordentliche, durch den (besonders für mitteleuropäische Ohren) ungewöhnlichen tschechischen Gesang und den Einsatz zumeist völlig kaputter oder selbst gebauter Instrumente bedingte Portion Eigenwilligkeit beigemischt wurde.

Auf seinem Soloalbum klingt Hlavsa im Vergleich zu den früheren Alben seiner Band dagegen ziemlich gemäßigt, zumeist bilden wummernde Keyboardklänge und ein relaxt brummender Bass in Kombination mit sägenden Gitarren die Grundlage für den einzigartigen, mal seltsam düster-rauhen, mal klaren und melodischen Gesang.

Den Beginn macht das titelgebende "Silenstvi (Madness)", das sich zwar recht monoton aber trotzdem fesselnd über knapp mehr als sechs Minuten hinzieht, anschließend folgt das vom beschwörenden Gesang bzw. Gemurmel Hlavsas dominierte "Divnej Svet (Strange World)", welches den Hörer durch seine dunkel-hypnotische Wirkung in seinen Bann zieht. "Kapky Krve (Drops Of Blood)" fällt im Vergleich dazu deutlich ab, der zu aufgeregte Rhythmus und der übertriebene Einsatz des Keyboards machen die an sich guten Ansätze des Songs zunichte, so dass einem dieses Stück bei der Länge von immerhin mehr als sechs Minuten ziemlich schnell auf die Nerven gehen kann.

Der von Vorbild Frank Zappa gecoverte Ohrwurm "Spatny Zpravy Kazdej Den (Trouble Every Day)" macht diesen Ausfall jedoch mehr als wett, wofür sich vor allem die schöne und Wärme ausstrahlende Stimme von Eva Turnova (ihres Zeichens Schauspielerin, Bassistin bei der Schwesterband DG307 und nach Hlavsas Tod sein Ersatz bei den Platic People) verantwortlich zeigt. Dieser Track übt in seiner monotonen Schwermut eine unglaubliche Anziehungskraft aus und schmiegt sich sanft, aber bestimmt an den Gehörgang an, um sich unauslöschlich im Gehirn festzusetzen.

"Moc Jsem Si Neuzil (I Haven't Swilled Enough Pleasures)" ist dem zweiten Track in Hinsicht auf Rhythmik und Instrumentierung verdächtig ähnlich, allerdings verleihen der veränderte Gesang und die ab und zu eingestreuten Gitarrensoli dem Stück eine völlig neue, dem Titel entsprechend deutlich aggressivere und unruhigere Stimmung, welche allerdings mit dem nachfolgenden und nach seiner zwischenzeitlichen Plastic People-Nachfolgeband Pulnoc benannten "Pulnoc (Midnight)" noch übertroffen wird. Dieser Song wird von einem für Hlavsa-Verhältnisse rasanten Drumming, zahlreichen Loops und flirrenden Gitarren vorangetrieben, wobei die den vorherigen Stücken eigene Anziehungskraft leider ein wenig verloren geht. Zum Glück macht das anschließende "Sporapky (Nut Shells)" mit seiner faszinierenden Entspanntheit den vorausgegangen Aussetzer sofort wieder vergessen. Dank der zurückhaltenden Instrumentierung und des gleichmäßig-sanften Rhythmus fühlt man sich beim Zuhören von der dunklen Stimme des Sängers sofort wohlig umgarnt und in seiner eigenen kleinen Nussschale in Sicherheit gewogen, so dass dieser Track - zusammen mit "Spatny Zpravy Kazdej (Trouble Every Day)" - einen der beiden wunderbar ruhigen Höhepunkte des Albums bildet.

"Andelske Vlasy (Angels Hair)" geht dagegen in eine völlig andere Richtung und lässt sich aufgrund der teilweise elektronisch verzerrten Stimme und des mystischen Keyboards musikalisch nur schwer einordnen, wobei der Begriff Trip-Rock dem Sound des Stückes wohl am nächsten kommt. Ist sicher nicht jedermanns Sache, aber (zumindest kurzzeitig) durchaus interessant.

"Klaustrofob (The Claustrophobe)" bringt den typischen Hlavsa-Sound (und insbesondere die kreischende Gitarre) wieder zurück und überrascht im Refrain mit orientalisch angehauchten Gesangssamples. Leider werden diese guten Ansätze im weiteren Verlauf des Tracks nicht weiter verfolgt, so dass sich der Song am Ende kaum vom Rest des Albums abheben kann und letztlich ein wenig untergeht.

Abschließend schmeichelt sich "Kouzla A Cary (Magic And Withcraft)" mit Ohrwurmgitarre und beruhigender Stimme ins Gehör. Der entspannt brummende Bass rundet den schönen Gesamteindruck ab und lässt den Song zu einem späten Highlight des Albums werden.

Am Ende muss über das letzte Album des tschechischen Altmeisters jedoch ein zwiespältiges Urteil gesprochen werden, da dieses Werk zumindest über die Gesamtlaufzeit von etwas mehr als 54 Minuten ein wenig Abwechslung vermissen lässt. Alle Stücke klingen mehr oder weniger gleich, lediglich "Spatny Zpravy Kazdej Den (Trouble Every Day)" sticht wirklich heraus und bleibt schon nach dem ersten Hördurchgang hängen. Andererseits verfügen die Soundkonstrukte Hlavsas über einen außergewöhnlichen, durch die dunkle Stimme und die tschechische Sprache fremdartigen und sperrigen Charakter, der sich zwar nicht jedem mitteleuropäischen Ohr erschließen wird, aber dieses Werk dafür zu einer interessanten Alternative für Entdecker neuer Klänge und alle diejenigen macht, die sich für die musikalische und politische Geschichte Osteuropas interessieren.

Tracklist:

  1. Silenstvi (Madness)
  2. Divnej Svet (Strange World)
  3. Kapky Krve (Drops Of Blood)
  4. Spatny Zpravy Kazdej Den (Trouble Every Day)
  5. Moc Jsem Si Neuzil (I Haven't Swilled Enough Pleasures)
  6. Pulnoc (Midnight)
  7. Skorapky (Nut Shells)
  8. Andelske Vlasy (Angels Hair)
  9. Klaustrofob (The Claustrophobe)
  10. Kouzla A Cary (Magic And Withcraft)

Links:

The Plastic People Of The Universe Homepage

The Plastic People Of The Universe bei Myspace

Email-Interview mit Milan Hlavsa

The Plastic People Of The Universe bei Sterneck.net

Interview mit den Plastic People 2006

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